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10/18/2016

Meister E.S. - Pinakothek der Moderne München

DAS FIGURENALPHABET 
23 Einzelblätter mit gotischen Minuskeln (Kleinbuchstaben) bilden das Figurenalphabet. (Im Vergleich zum heutigen Alphabet entfallen j [= i] sowie u und w [= v]). Zusammengesetzt sind die Buchstaben aus menschlichen Figuren, Personen hohen wie niedrigen Standes, Heiligen, realen Tieren und Fabelwesen. Diese fügen sich in teils abenteuerlichen Formationen in die Silhouette der Buchstaben.
Die Folge geht formal und motivisch wohl auf einen um 1400 entstandenen böhmischen Prototyp zurück, den der Meister E. S. um 1466/47 spielerisch umgearbeitet hat. Manche Buchstaben sind getreu übernommen, andere völlig neu gestaltet. Die Folge wurde einmal als »Buntes Zeug« (Max Geisberg 1909) bezeichnet. Tatsächlich bietet sie ein kleines Kompendium der spätmittelalterlichen Welt. Heilige und deren Legenden stehen neben turnierenden Rittern. Bauern und Personen des niederen Standes kommen als Elendsgestalten ebenso vor wie elegante Adlige, die ihre gespreizten Auftritte haben. »Wilde Leute« kämpfen gegeneinander, akrobatisch sind Drachen und dämonische Fabelwesen ineinander verschlungen. Gefährlich bewaffnete Osmanen bekunden den sinistren Reiz und die Bedrohlichkeit des Fremden. 

Mit spöttischem Unterton werden Mönche und Nonnen in ihrer bigotten Verlogenheit vorgeführt. Narren warnen vor den Gefahren der fleischlichen Begierde und bekunden die Erlösungsbedürftigkeit einer gestörten Weltordnung. Keineswegs sind die Buchstaben Scherzbilder. Der spätmittelalterliche Mensch las sie wohl als Symbole des Ringens zwischen Gut und Böse.
München ist die einzige Sammlung weltweit, die alle 23 Buchstaben besitzt. Ihre Druckqualität ist durchgehend sensationell. (21.10.2016 - 06.11.2016). Text: Pinakothek der Moderne