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12/16/2013

Bourdelle, Antoine - Kunsthaus Zürich

«Sappho» und die französische Plastik
 
«Sappho», die bedeutende Bronzeskulptur des französischen Bildhauers 


Antoine Bourdelle * 1861 Montauban † 1929 Le Vésinet

ist einer aufwändigen Restaurierung unterzogen worden. Vom 21. März bis 6. Juli 2014 wird sie im Kontext einer temporären Sammlungspräsentation mit Plastiken von u.a. Auguste Rodin (* 1840 Paris † 1917 Meudon)Henri Matisse (* 1869 Le Cateau-Chembrésis † 1954 Nizza), Henri Laurens und Alberto Giacometti (* 1901 Borgonovo  1966 Chur) präsentiert. Die Ausstellung zeigt in kompakter Form die Entwicklung dieses Bestandes am Kunsthaus auf.

Der aus Südwestfrankreich stammende Bildhauer Antoine Bourdelle bildet mit Auguste Rodin und Aristide Maillol das Dreigestirn der frühmodernen französischen Plastik. Von intimen, kleinformatigen Arbeiten bis zu grossen öffentlichen Auftragsarbeiten hat Bourdelle, der bereits zu Lebzeiten weltweite Anerkennung erfuhr, alle Formate gepflegt. Sein Hauptthema ist die menschliche Figur, häufig dargestellt in mythologischen Kontexten. Letzteres gilt teilweise auch für die drei wichtigen Bronzen im Kunsthaus Zürich: «Apollon (Masque)» von 1900, eine Darstellung des Gesichtes von Apoll, dem griechischen Gott der Musik und der Dichtkunst, sodann «Beethoven» von 1902, eine Porträtbüste des grossen Komponisten – und «Sappho» von 1887/1925. 

ÜBERLEBENSGROSSE DICHTERIN DER ANTIKE
Bei «Sappho» handelt es sich um eine monumentale Darstellung der gleichnamigen grössten Dichterin der Antike. Auf einer kleinen Erhöhung kauernd, trägt sie eine grosse Lyra bei sich. Vom hochgereckten grossen rechten Zeh bis zur nach oben gehaltenen rechten Hand ist ihre ganze Gestalt von einer starken Spannung erfüllt, die sich auch in den Falten ihres Kleides manifestiert. Sappho hat den Kopf gebeugt. Ihre rechte Hand verbindet sich darüber mit der Form des Instrumentes, vielleicht zählt die Dichterin gerade, tief versunken, das Versmass eines Gedichtes ab. Sapphos grosses Thema ist die Liebe – und die Verehrung für die Liebesgöttin Aphrodite. Bourdelle beschäftigte sich mehrere Male mit seiner Sappho-Komposition. Eine erste Fassung, nur 28 cm gross, entstand 1887. 1924 realisierte Bourdelle eine Bronze von 70 cm Höhe. Im Jahr darauf dann die in sieben Güssen existierende monumentale Bronze. Das im Kunsthaus aufbewahrte, überlebensgrosse Exemplar stammt von 1925. Dieses Werk ist für die Zeit ab der Eröffnung des Erweiterungsbaus für eine Platzierung im Garten der Kunst im Gespräch.
Die Restaurierung von Bourdelles Werk folgte auf Projekte zur Konservierung von Plastiken Maillols und Rodins. Nun steht der bedeutende Kunsthaus-Bestand an französischen (oder wie im Falle von Constantin Brancusi und Alberto Giacometti mit Frankreich als Land der Entstehung verbundenen) Plastiken der Klassischen Moderne wieder vollzählig und in gutem Zustand zur Verfügung. Dies bietet Gelegenheit für einen Blick zurück.


AM ANFANG STAND RODIN
Die erste Erwerbung einer Plastik eines massgeblichen französischen Meisters der (frühen) Moderne galt 1910 Auguste Rodins Gips-Fassung von «La prière» – eine stehende weibliche Figur, 1909 in für Rodin kennzeichnender Weise als Torso gestaltet. Das Werk wurde direkt vom Künstler erworben. In den Jahren 1925–31 kamen dann vier Bronzeplastiken von Aristide Maillol ins Kunsthaus, darunter 1925 «Jeunesse» (1910) und 1931 die monumentale «Vénus au collier». Im Jahre 1935 folgte ein weiterer Rodin, die liegende Bronze-Figur «La martyre» – ein Ankauf der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde (VZK) – die oft im Monet-Seerosensaal ausgestellt ist. Das gleiche Jahr brachte den Eingang einer dezidiert modernen Skulptur, Henri Laurens‘ kleine Terrakotta «Femme assise au bras levé» (1930). Das Jahr 1946 brachte den Eingang von zwei ersten Werken von Germaine Richier. Im Jahre 1948 erhielt das Kunsthaus ein vom Geist des Kubismus geprägtes Werk geschenkt, Raymond Duchamp-Villons «Tête de cheval» (1914). Abgesehen davon waren die Jahre 1948/49 von Rodin geprägt, von dem gleich fünf Werke Eingang fanden, darunter eine Einzelfigur der «Bürger von Calais», die provokative «Iris, messagère des dieux» von 1890/91 und das monumentale «Höllentor» von 1880–1917, in dem Rodins ganzes Schaffen gipfelt. Im gleichen Jahr tauchte in Gestalt des subtilen Werkes «Apollon (Masque)» erstmals auch Antoine Bourdelle im Kunsthaus auf. 

VON BOURDELLES «SAPPHO» ZU MATISSE‘ RÜCKENAKTEN
Die 1950er Jahre brachten u.a. drei bedeutende Figurenplastiken: 1951 Richiers «Pomona», 1957 dann die bereits 1951 vom Giesser Alexis Rudier als Geschenk bestimmte «Sappho» Bourdelles und 1959 ein besonders wichtiger Rodin, «L’âge d’airain», ein frühes Hauptwerk von 1875/76. Von besonderem Gewicht war 1960 die Erwerbung von Henri Matisse‘ kapitalen vier «Rückenakten» aus den Jahren 1909, 1913, 1916/17 und 1930. Diese Werke gehören zu den mit Abstand bedeutendsten Werken der Plastik der Moderne und wurden mit Beiträgen des Kantons und der VZK von der Tochter des Künstlers erworben. Matisse war (wie zeitweilig Alberto Giacometti) ein Schüler Bourdelles.

SCHENKUNGEN AUS DER SAMMLUNG WERNER UND NELLY BÄR
1961 gelangte als Geschenk der Erben Franz Meyer Henri Laurens‘ monumentale «La grande musicienne» ans Kunsthaus. 1967 kam dann ein erstes Geschenk von Nelly Bär aus der Sammlung Werner und Nelly Bär ans Haus, der monumentale posthume Guss von Maillols «Monument à Cézanne». Ein Jahr später folgte ein ganzes Konvolut an grossherzigen Schenkungen aus dieser Sammlung, darunter Rodins «Femme accroupie» und «Balzac», Bourdelles «Beethoven», ein früher Kopf Picassos, sowie zwei kleinere Plastiken von Matisse. Insgesamt konnte während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein bedeutender Bestand zusammengetragen werden, von dem jetzt mit «Sappho» ein weiteres Hauptwerk wieder präsentiert werden kann.

PICASSO BIS GIACOMETTI: IN FRANKREICH TÄTIGE BILDHAUER ANDERER HERKUNFT
Von der Plastik der Franzosen selber nicht zu trennen sind Werke zentraler Bildhauer der Moderne, die lange in Frankreich lebten und dort grosse Teile ihres Werkes schufen. Einer ihrer bedeutendsten Vertreter ist Pablo Picasso. Im Jahr 1944 erfolgte mit dem Erwerb seiner kubistischen «Tête de femme (Fernande)» von 1909 der bis anhin wohl radikalste Ankauf moderner Plastik des Kunsthauses. Wenig später, 1948, kamen aus einer Schenkung drei Werke von Jacques Lipchitz ans Haus. Im Jahre 1954 folgte durch einen Kauf der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde direkt beim Künstler der erste Erwerb einer Plastik von Constantin Brancusi, «L’oiseau dans l‘espace» (1925–31) – bereichert 1984 dank eines Legats mit «Muse endormie II», um 1925. Für das Kunsthaus besonders bedeutend ist die Präsenz des grössten Schweizer Künstlers des 20. Jahrhunderts, Alberto Giacometti, der ebenfalls grosse Teile seiner künstlerischen Laufbahn in Paris verbachte. 1954 – neun Jahre vor Entstehung der Alberto Giacometti-Stiftung – zog ein erstes Hauptwerk von ihm, die Bronze «L'homme qui chavire» (1950), ins Kunsthaus ein.

BURCKHARDT BIS BASELITZ: KONTINUITÄT UND NEUE KONZEPTE 
Das Kunsthaus besitzt nicht nur französische oder mit Frankreich als Entstehungsland verbundene Skulpturen der Klassischen Moderne. Abgesehen von Alberto Giacometti ist etwa in Gestalt der jüngst in die Sammlung eingegangenen «Venus» von Carl Burckhardt die schweizerische Plastik mit schönen Beständen vertreten. Zudem zeigt es Skulpturen aus Italien (Umberto Boccioni, Marino Marini), aus England (Henry Moore), Spanien (Joan Miró, Eduardo Chillida) und aus Deutschland. Aus dem Bereich der deutschen Plastik sind etwa Ernst Barlach und Wilhelm Lehmbruck zu nennen, oder der wiederum vor allem in der Schweiz aktive Hermann Scherer, die mit ausgezeichneten Werken vertreten sind. Weitet man die Suche über die Klassische Moderne im engeren Sinne aus, stösst man auf die Holzskulpturen von Georg Baselitz. Der wichtigste Bestand an Skulpturen aus der Zeit der noch nicht vollends klassisch gewordenen späteren Moderne stammt dann aber von einem amerikanischen Künstler: >> 
Cy Twombly (* 1929 Lexington  2011 Rom). Im Jahr 1994 schenkte Twombly dem Kunsthaus Zürich eine ganze Gruppe bedeutender Skulpturen. Insgesamt ist festzustellen, dass die französische Tradition im Bereich der Skulptur der Klassischen Moderne im Kunsthaus besonders stark vertreten ist. Die durch Bourdelle in die Moderne geholte, eindrucksvolle Figur der antiken Dichterin Sappho kann – frisch restauriert – als bedeutendes Beispiel für die hervorragend Qualität der Bestände gelten. Vom 21. März bis 6. Juli 2014 wird sie im Kontext einer temporären Sammlungspräsentation mit Plastiken insbesondere von Auguste Rodin, Henri Matisse, Henri Laurens und Alberto Giacometti präsentiert. (Text: Kunsthaus Zürich)